Alte Universität, Rheinsprung 9, Hörsaal -101
Ringvorlesung: Sprachloch als Politik: Babi Badalov – Katalin Ladik – Roman Osminkin
if my darling joe gives me a kicking
I give him a hrrr and then a badada
come see the cow across the sky riding
I am sad as sad as a flag
the cows go dancing in the skies
sparrows shit onto a red copy-book
come with me joe come with me joe
under the wheels
(Lead Casting, 1970, Translated from Hungarian by Josef Schreiner)
«Es geht um die Verflechtung von Sprache und Ideologie, Ressentiment und Politik, Kunst und Gesellschaft, Humor und Hysterie, kurz, um eine Infragestellung des aktuellen Zustands der Welt,» heisst es in der Annotation einer Sammlung von Kurztexten und Aphorismen, die unter dem Titel SPRACHLÖCHER beim Matthes & Seitz 2023 veröffentlicht wurde. In dem Vortrag geht es aber weder um die Sprachlöcher des Autors dieser Sammlung, Marcus Steinweg, Professor für Kunst und Theorie an der Akademie in Karlsruhe, noch um Ingeborg Bachmann, Michael Lenz, Iris Radisch oder Bodo Kirchhoff, die den Begriff ebenfalls verwendet und jede(r) nach ihrer oder seiner eigenen Art definiert haben.
Das Prinzip Sprachloch als Herausforderung, Infragestellung, Provokation aber auch als analytisches Verfahren mit potentiellen politischen Implikationen soll in diesem Vortrag bei drei Autor:innen aus Osteuropa diskutiert werden, die die Löchrigkeit der Sprache(n) ganz dezidiert auch aus einer Situation der Mehrsprachigkeit untersuchen. Es geht dabei nicht nur um das künstlerische Agieren in mehreren etablierten Sprachen, sondern auch um die Infragestellung der Sprache als System, sei es politisch, medial oder poetisch-performativ.
Katalin Ladik ist eine performative Dichterin aus der Vojvodina und aus Ungarn, die im (post-)sozialistischen Underground Sprache seziert, um aus ihrem Material neue akustisch-physiologische Objekte zu schaffen. Roman Osminkin, oppositioneller Dichter aus Russland, analysiert die politische Dimension des slawischen Verwachsens von JAZYK als Sprache und JAZYK als Zunge. Babi Badalov, Muttersprachler eines aserbaidschanischen Dialekts, politisiert und poetisiert alle Sprachen (Englisch, Russisch, Deutsch, Französisch...), die er nicht wirklich beherrscht, aber trotzdem als Ausdrucksmittel seiner visuellen Wortkunst verwendet, die auf die Löcher in der Kommunikation um und zwischen den Identitäten generell hinweisen.
Sprachloch steht für Verständigungsmangel, für die Unzulänglichkeit der Sprache, für Sprachlücken und Sprachlosigkeit, für das Desavouieren der Sprache oder der Sprachen. Aber vielleicht kann gerade die Not der Sprache(n), ihre Bedrängnis, Misere, Elend... als starker und inspirierender Ausgangspunkt einer radikalen sprachlichen Kreativität funktionieren und verstanden werden?
Prof. Dr. Tomáš Glanc ist Professor an der Universität Zürich, Schweiz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören moderne slawische Literatur, russische Kultur, Samizdat und inoffizielle Medien, Performance in Osteuropa, russische und tschechische Moderne, slawische Ideologie sowie zeitgenössische russische Kunst und Literatur. Er hat zahlreiche Ausstellungen organisiert, darunter Poetry & Performance: The Eastern European Perspective (mit Sabine Hänsgen) und Ausstellungen über Irina Korina, Pavel Pepperstein und Viktor Pivovarov. Er war außerdem Gastprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, Gastprofessor an der Universität Basel, Senior Fellow an der Universität Bremen, Direktor des Tschechischen Kulturzentrums in Moskau und Direktor des Instituts für Slawistik und Osteuropastudien an der Karlsuniversität Prag.
Weitere Informationen zum gesamten Programm der Ringvorlesung finden Sie hier.
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