Angela Boller wurde für ihre Masterarbeit der Jahrespreis 2018 des Schweizerischen Sozialarchivs verliehen

Der Doktorandin Angela Boller wurde im Juni 2018 der Jahrespreis des Schweizerischen Sozialarchivs für ihre Masterarbeit "Russland-Schweizer: Sinnkonstruktionen und Grenzen eines Konzepts" verliehen.

Für weitere Informationen der Verleihung und zum Jahrespreis, konsultieren Sie die offizielle Website des Schweizerischen Sozialarchivs.

Die Laudatio der Verleihung lautete wie folgt:

Das Sozialarchiv hat dieses Jahr zum ersten Mal einen Jahrespreis ausgeschrieben.  Der Preis zeichnet hervorragende Abschlussarbeiten aus, die der Dissertation vorgelagert sind (Bachelor, Master sowie vergleichbare internationale Abschlüsse) und die auf Quellenmaterial aus dem Schweizerischen Sozialarchiv basieren.

Der diesjährige Preis geht an Frau Angela Boller für ihre an der Universität Basel eingereichte Masterarbeit zum Thema "Russland-Schweizer": Sinnkonstruktionen und Grenzen eines Konzepts: Aushandlungsprozesse einer russlandschweizerischen Identität in den Selbstzeugnissen der Rückkehrer 1917-1961.

Im Zentrum der Arbeit stehen die rund 6‘000 Schweizerinnen und Schweizer, die nach der Russischen Revolution in die Schweiz zurückkehrten, um in der alten Heimat, die sie teilweise noch nie zuvor gesehen hatten, ein neues Leben zu beginnen. Für diese Menschen etablierte sich rasch die Bezeichnung „Russland-Schweizer“. Angela Boller geht in ihrer Arbeit der Frage nach, wann und in welchen politischen Kontexten das Konzept „Russland-Schweizer“ entstand, mit welcher Bedeutung es aufgeladen war und insbesondere, ob sich Menschen, die unter dieser Sammelbezeichnung adressiert wurden, selbst als „Russland-Schweizer“ sahen, was sich über die Selbstsicht und Ich-Entwürfe von Menschen dieser Migrantengruppe sagen lässt.

Die Arbeit zeichnet sich durch ein sehr hohes theoretisches und methodisches Reflexionsniveau und eine umfangreiche Quellengrundlage aus. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Russlandschweizer-Archiv, das von der Abteilung für Osteuropäische Geschichte der Universität Zürich seit den 70er Jahren aufgebaut und 2013 ins Sozialarchiv überführt wurde.

Wie Angela Boller zeigt, tauchte der Begriff „Russland-Schweizer“ ab Mai 1918 auf im Bemühen, die RückkehrerInnen diskursiv als „politisches Kollektiv“ zu konstituieren und dadurch die eigenen Interessen wirksamer zu vertreten. In der Folge spielten Wortführer der Russland-Schweizer in der öffentlichen Debatte über die Vorgänge in Russland und der Etablierung einer antibolschewistischen Abwehrhaltung eine wichtige Rolle. Auch wurde die eigene Rolle als Kulturbringer im zivilisatorisch angeblich rückständigen Russland betont. Dieser für die Herausbildung einer spezifisch russland-schweizerischen Identität zentrale Punkt findet sich auch in privaten, autobiographischen Dokumenten. Allerdings zeigt Angela Boller anhand der Untersuchung verschiedener Selbstzeugnisse aus den Jahren 1918 bis 1961 die begrenzte Reichweite des Konzepts „Russland-Schweizer“: Die Autorinnen und Autoren orientierten sich im Wesentlichen an anderen Identitätsentwürfen. Das „politische Kollektiv“ Russland-Schweizer, das als Opfer- und Anspruchsgruppe geschaffen worden war, vermochte für Individuen dieser Gruppe offenbar keine nachhaltige identitätsstiftende Kraft zu entfalten.

Mit ihrer theoretisch, methodisch und sprachlich überzeugenden Arbeit, die zu einem bislang wenig untersuchten Forschungsthema interessante Ergebnisse liefert, ist Frau Boller eine verdiente Trägerin des ersten Jahrespreises des Schweizerischen Sozialarchivs.

Prof. Dr. Matthieu Leimgruber, Präsident